2. Was und wer war Krautrock?
Interviews

 

Dieter Bornschlegel gilt als einer der vielseitigsten Musiker der Szene, der auf ein reiches Schaffenswerk zurückblicken kann. Hier ist ein Interview, das der Autor dieser Website im Oktober 2003 mit Dieter führte.
DB = Dieter Bornschlegel / MM = Manfred Miersch

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MM: Wenn ich richtig informiert bin, hast Du von Mitte 1973 bis Mitte 1974 bei Atlantis Gitarre gespielt. Bei Guru Guru warst Du anscheinend von Anfang 1977 bis Herbst 1978. Eine Deiner ersten Bands hieß "Traumtorte". Hattest Du während Deiner Zeit bei "Traumtorte", "Atlantis" und "Guru Guru" bestimmte musikalische Vorbilder? Welche Bedeutung hatte die englische und amerikanische Rockmusik der 60er und 70er Jahre für Dich?

DB: In jeder Phase meines Lebens hatte ich die unterschiedlichsten musikalischen Vorbilder. Zunächst bin ein Kind der Beat Generation. BEATLES, STONES, TROGGS, SMALL FACES, SIMON AND GARFUNKEL usw., deren Musik ist noch heute in mir lebendig und ist ein wichtiger Teil meines musikalischen Kosmos. Wie ich ein Kind des Beat bin, so bin ich gleichfalls ein Kind des Radios. Wir hatten zum Glück früher noch kein Fernsehen. Ich hörte viel Hörspiele. Nächtens hockte ich auch oft bis Frühmorgens vor dem Weltempfänger und übte nach AFN oder BBC indem ich aus den Songs die Solos oder neue Akkorde raushörte. Ein gutes Training für die Gehörbildung.
In der Zeit mit TRAUMTORTE war in erster Linie die Band YES für mich ganz entscheidend. Einflüsse kamen allerdings auch z.B. von JOSE FELICIANO, BADEN POWELL, DJANGO REINHARD, STEVIE WONDER, LED ZEPPELIN, CARAVAN und MOVE.
Als ich mit 18 Jahren zu ATLANTIS in eine landschaftlich schöne Wald und Villengegend nahe Hamburg zog, was für mich als Ruhrpottjunge wie das reine Paradies erschien, hörte ich hier viele Sendungen von MICHAEL NAURA im NDR. Ein Livemitschnitt von CHICK COREA`s Band, RETURN TO FOREVER, hat mich zum Fan des damaligen Gitarristen der Band BRIAN O` CONNOR werden lassen. Als AL DIMEOLA spaeter in die Band Einstieg war diese für mich gestorben.
Irgendwann hörte ich JONI MITCHELL und hatte mich auf Anhieb sofort in diese Stimme und diesem exellenten Songwriting verliebt. Noch heute sind ihre Songs neben den BEATLES fuer mich das Beste was es an Songwriting gibt.
Als ich zu GURU GURU kam hörte ich in dieser Zeit mehr Jazz Fusion, Latin. GEORGE BENSON war lange Zeit mein ganz grosser Favorit. JOHN ABERCROMBIE, ALLEN HOLTHWORTH, PHILLIP CATHERINE, JOHN MC LAUGHLIN, ZAVINUL, AIRTO, CRUSADERS, waren weitere Kandidaten die ich damals fleissig studierte.

MM: Auf dem Cover der Platte "Guru Guru live" von März 1978 ist ein Typ zu sehen, der in kurzen Hosen Gitarre spielt, bist du das?

DB: Ja, ich war und bin ein Freund der kurzen Hose. Ganz der Typ Camper und Naturbursche. Ich liebe den weiten Horizont, den Himmel. Selbst wenn ich Gitarre übe, halte ich immer nach Plätzen Ausschau, wo ich dass auch draussen bewerkstelligen könnte. Es kommt vor, dass ich mich mit umgeschnallter Gitarre durch den Wald spiele.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich, als wir in der Hamburger Vollzugsanstalt Santa Fu fuer eben dieses Album, GURU GURU LIVE Livemitschnitte machten, ich mir dafür ein extra knappes Höschen auf der Bühne anzog. Sozusagen als Kontrapunkt zu der professionellen Stripperin die wir für die Heteros im Knast für diesen Abend engagiert hatten. Die Schwulen im proppevollem Saal haben das zu honorieren gewusst :-)

MM: Angesichts der oft wechselnden Bandmitglieder und musikalischen Stilrichtungen von Guru Guru, sowie der skurrilen Songtexte und der ungewöhnlichen Sounds und Geräuschquellen, die verwendet wurden ("Jodeln", "Entenfänger", "Maniscope"), hat man den Eindruck, daß die Band ziemlich unberechenbar, unklassifizierbar und einigermaßen ausgeflippt war. Wieviel an der Musik war spontan und wieviel geplant?

DB: Es war immer beides vorhanden. Auf der einen Seite waren die Songs in ein festes Korsett eingeschnürt, doch gleichzeitig war eigentlich fast immer alles und zu jeder Zeit erlaubt. Wenn das beim Publikum gut ankam hat man das beim nächsten Konzert vielleicht nochmal versucht.
Was als aktiver Musiker auf der Bühne Spass machte, hätte mich als Konsument vielleicht doch etwas genervt. GURU GURU wäre fuer mich als Zuhörer zu anstrengend und uncharmant gewesen. Ich habe auch immer versucht mein Songwriting in die Band einzubringen. Ich weiß dass ich darin Erfahrung habe, und das Talent Songs zu schreiben war bei MANI NEUMEIER und ROLAND SCHAEFFER nicht sonderlich ausgeprägt. Rückblickend kann man feststellen, dass mit jedem Musikerwechsel in der Band sich auch die Musik immer um 180 Grad drehte. Mal Rockabilly, mal New Wave, mal Avantgarde. Teilweise klang das nicht gerade authentisch sonder eher gekünstelt. Die Besetzung Neumeier, Schaeffer, Kühmstedt, Bornschlegel, die Mischung, und in der gleichen Reihenfolge, aus selbstsicher vorgetragendem Dilettantismus, powervoller Virtuosität, groovender Erdigkeit, und dem zum Ausgleich nach Harmonie strebendem Songwriting, hatte allerdings auch seine gewisse Magie und Aura. Ohne Zweifel.

MM: Guru Guru war in den 70ern gerade auch als Live-Band ziemlich bekannt, so gab es zum Jahreswechsel 75/76 sogar eine kleine Serie zu Guru Guru in der SOUNDS (Autor: Andreas Roßmann). In Teil 2 von Januar 1976 wird Mani Neumeier mit den Worten zitiert: "Früher wollte ich ein Revolutionär oder was weiß ich sein, aber heute will ich nur noch ein guter Entertainer sein!" Gab es für Dich persönlich eine Verbindung zwischen der Musik und Deinen (damaligen) politischen Anschauungen?

DB: Na ja zum Revolutionär braucht es ja wohl auch einiges mehr als nur ein bischen auf dem Schlagzeug rumzumachen und Groucho Marx zu imitieren. GURU GURU war ja eigentlich doch ziemlich unpolitisch, auch wenn wir mal bei Gegen-Rechts-Veranstaltungen, in Gorleben oder bei Partys in den Anfängen der Grünen aufgespielt hatten.
In den 60ern war ich mal bei einer Grossdemo gegen die USA in Bochum . Um was es da allerdings ging wusste ich nicht so genau. Ich war 14 oder 15 und hatte mit meinem Hauptschulabschluss keinen blassen Schimmer von Politik. Ein Typ der damals mit in Bochum war hat später seine Oma mit dem Beil erschlagen. Ein anderer hat mich dauernd versucht auf Hasch zu trimmen indem er mir dauernd Dinge zum essen gab in dem Hasch versteckt war, oder während ich schlief mir ein auf Nadel gespiesstes glimmendes Piece unter die Nase hielt. Alles recht seltsam.
Es gibt viele meiner Songs die sich mit unserer Gesellschaft auseinandersetzen, und sich für die Schwächeren und Unterdrückten dieser Welt stark machen möchten. Da bin ich ein wenig wie VILLON. Politik aber auch ficken gehören für mich auch unbedingt ins Repertoire eines jeden Songschreibers. Ich möchte bei der Gelegenheit auf den PEACE ATTACK Sampler, der diese Woche [Anm.: Oktober 2003] erscheint aufmerksam machen. Als vor zwei Jahren George W. Bush die Kriegstrommel zu rühren anfing, versuchte ich zeitgleich quasi eine musikalische Peacefront aufzubauen. Mehr als 250 Bands aus aller Welt konnte ich immerhin bis heute bewegen sich mir anzuschliessen um gemeinsam gegen den Wahnsinn Krieg und Kriegspropaganda anzuspielen. Zusammen mit dem Label KMG Records und ATTACK ist jetzt ein Doppel CD Sampler mit diesen Bands erschienen. NEKTAR, HELLMUT HATTLER, JAN DELAY, FEHLFARBEN, MELLOW MARK, RAMESH WEERATUNGA, YAIR DALAL, TOTEN HOSEN, TERRORGRUPPE, THE RAMONES, HANS HARTZ, SLIME und viele viele andere bekannte Gruppen, aber auch unbekanntere Bands und Künstler, denen ich mit meinem Peaceprojekt VISION EUROPE VISION - PEACE gleichfalls eine Plattform bieten wollte.

MM: In der weiter oben genannten SOUNDS tauchen bereits Berichte über die Wegbereiter des Punk auf: Texte zu der Band "Tubes" und dem englischen Pub Rock. Wie habt ihr die damals aufkommende Punk-Bewegung wahrgenommen, die ja das Ende der "progressiven" Rockmusik und der Hippiekultur manifestieren wollte?

DB: Es gab eine Zeit da endeten die Konzerte von GURU GURU immer mit einer Punkattacke. Ich vermute dass war wohl eher eine Verarschung als eine Hommage. Was mich persönlich angeht, so wollte ich auf der Gitarre immer ein Virtuose werden, der irgendwann mal geschmeidige und intelligente Soli von sich gibt. Allein aus diesem Grund war das Zweiakkorde Hacke Hacke der Punker nichts für mich. Heute sehe ich das alles etwas gelassener und kann jetzt dem Punk durchaus was abgewinnen, sowie ich denke generell gegenüber anderen Musikstilen toleranter geworden zu sein. Das Leben ist halt so. Es gehört wohl einfach zur Entwicklung des Menschen viele Dinge, Vorschriften und Regeln, vor allem in der Jugend, in Frage zu stellen, und alles neu oder wenigstens anders machen zu wollen.

MM: Kannst Du Dich erinnern wann Du das erste Mal auf den Begriff "Krautrock" gestoßen bist? Was verbindest Du damit?

DB: Richtig bewusst wurde mir die "Bewegung" Krautrock erst als ich damals mit ATLANTIS auf den vielen Deutschrock Festivals unterwegs war. ATLANTIS war wohl eine der wenigen Bands die man da noch als Rockgruppe bezeichnen konnte. Bei vielen anderen Bands war nicht mehr ganz so leicht zu definieren was für Musik die machten. ATLANTIS war mit INGA RUMPF als Sängerin eine der wenigen Bands deren Songs ganz auf die Vocals zugeschnitten wurden. Böse gesagt, vielleicht ist Krautrock ja nur aus Mangel an weiteren guten Sängern oder Sängerinnen zu dem geworden was er ist ;-) Gesang jedenfalls spielt bei vielen Krautrock Bands doch wohl eher untergeordnete Rolle. CAN fand ich übrigens persönlich sehr gut und auch KRAAN. Ich habe mal später von HOLGER CZUKAY die Filmmusik "Rote Erde" gehört. Ein ausgezeichneter Songschreiber der Kerl.

MM: Wie war Deine Haltung gegenüber der elektronischen Variante des "Krautrock", das heißt den Bands, die mit den ersten Synthesizern und Sequenzern arbeiteten (Tangerine Dream, Popol Vuh, Klaus Schulze, Kraftwerk, Cluster)?

DB: Ich habe nur am Rande von diesen Bands was mitbekommen. Das Ambiente in denen sich diese Festivals meistens abspielten war oft grauenhaft. Kalte muffige Hallen in fahles Licht getaucht und mieser Sound waren nicht sonderlich animierend den Bands in Ruhe zuzuhören.
Darüberhinaus bin ich ein Musiker, der sich vor jedem Auftritt mindestens zwei Stunden warm spielen muß, damit er sich auf der Bühne wohl fühlt. Also blieb mir kaum Zeit vorher mal in die Halle zu gehen.
Es sah aber immer recht seltsam aus, wenn da einer oder zwei Figuren auf der Bühne an monströsen Apperaturen schraubten und kein Schlagzeug zu sehen war. Ob im Fernsehen oder Live, wenn ich Musiker stehend vor Keyboards sehe habe ich schon keine rechte Lust mehr zuzuhören. FAHRN FAHRN FAHRN AUF DER AUTOBAHN finde ich, ist übrigens auch heute noch für mich ein sehr sehr bescheidenes Musikwerk. Selbst Hellmut Hattlers TAB TWO, an deren ersten Album ich mitgewirkt hatte, klang Live trotz den tollen Bass und dem hervorragenden JOO KRAUS, mit diesen vom Computer oder Band eingespielten Drumloops unfertig und gekünstelt.

MM: In den 80er und 90er Jahren gab es bereits Krautrock-Revivals, insbesondere nach dem Erscheinen von Julian Copes Buch "Krautrocksampler" (1995). Wie beurteilst Du die Tatsache, daß die damals oft hart kritisierte Musik der deutschen Bands, die unter diesem Etikett versammelt wurden, plötzlich "postum" gewürdigt und gefeiert wird (auch durch diese Website)?

DB: Es ist sicher richtig das man eine wichtige Strömung wie es der Krautrock nun einmal war irgendwann auch einmal gebührend würdigt. Es ist ja auch so, dass der Krautrock früher nicht die Möglichkeit hatte sich medial ins richtige Licht zu rücken wie das in der heutigen Zeit möglich ist. Es gab vielleicht im Monat eine einzige Sendung im Radio die das Thema Krautrock behandelte, und das war es dann auch schon. Wenn das heute noch so wäre könnte ich mir kaum vorstellen dass sich sowas wie Hip Hop je durchgesetzt hätte.
Wundervoll finde ich es auch, dass es fast allen Krautrock Bands gelungen ist, ihren ganz eigenen individuellen Sound und musikalischen Kosmos zu kreieren. Manchmal braucht es wohl eine geraume Zeit neue Musik zu verstehen. Oft ist man ja zu sehr mit sich selbst beschäftigt Will, indem man nur auf einen einzigen Musikstil setzt, sich vielleicht nur von anderen Menschen und Gruppen abgrenzen, und versperrt sich damit aber die Möglichkeit die Magie der Musik, die die anderen mögen, zu entdecken. Ein Deutschrockfestival war letztlich immer auch ein Parcour durch die verschiedensten musikalischen Welten, und die Zuschauer gingen wohl alle immer sicherlich gut durchgeschüttelt nach Hause.

MM: Welche Musik hörst Du gegenwärtig gern und wie würdest Du die Musik bezeichnen, die Du zur Zeit selbst machst?

DB: Ich höre eigentlich nur was mir so täglich aus dem Radio entgegenströmt. Ich wechsele lediglich ab und an die Sender. WDR 2, HR1 oder so. CDs höre ich wenn überhaupt, eigentlich nur die eigenen. Damit meine ich nicht die alten Sachen von GURU GURU oder ATLANTIS sondern die vielen Songs die ich in den letzten 20 Jahren geschrieben habe. Und das sind eine Menge. Ob Hip Hop, Jazz, Country, Psychedelic oder Klassik, mit vielem habe ich mich beschäftigt und suchte und fand dabei in allen Stilen auch immer die eigene Seele, meinen eigenen Sound. Seit langer Zeit bin ich mein eigener Meister geworden, der nur seinem eigenem musikalischen Universum folgt. Wer weiß, vielleicht braucht es wieder eine längere Zeit bis die Leute die Magie dieser Songs entdecken :-) Gestern hat mir ein Rezensent aus USA sein Review über der neuen CD "Das Ewige Eis" meines neuen Projekts DEIN SCHATTEN, freundlicherweise zugeschickt. Wen es interssiert was das für Musik ist die ich derzeit mache, der oder die kann ja wenn er/sie möchte bei GRAVE CONCERN weiterlesen oder gleich www.dein-schatten.de einschalten.
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Vielen Dank an Dieter für die Erlaubnis zur Veröffentlichung! - Manfred Miersch.